Lieber Walter*,
Du fragst Dich, warum Du meditieren solltest? Was wäre der Sinn? Du bist doch nicht der Typ für so etwas.
Lass mich versuchen Dir eine Antwort aus meiner Erfahrung zu geben und probiere es einfach mal aus.
Es geht nicht um das Meditieren. Es geht um den Umgang mit Dir selbst. In der Meditation übst Du einen anderen Umgang mit Dir selbst, als Du ihn so häufig pflegst.
Ausstieg aus dem Autopilot-Modus
Die meiste Zeit Deines Alltags lebst Du im Autopilot-Modus. Du erledigst eine Aufgabe nach der anderen. Dann eine kurze Pause, ein Spaziergang, etwas zu essen und weiter geht es. Wie wäre es jetzt einmal mit einer Pause, in der Du ganz bewusst hinspürst, wie sich Dein Körper jetzt gerade anfühlt? Deine Füße auf dem Boden, Deine Beine, Dein Bauch- und Brustraum, Po und Rücken, Hals und Gesicht und Dein gesamter Kopf.
Welche Gedanken beschäftigen Dich gerade? Fragst Du Dich, was Du da machst, was das bringen soll? Egal was es ist, es sind erst mal nur Gedanken. Nimm sie wahr. Anerkenne sie und lass sie da sein.
Wie fühlst Du Dich gerade jetzt in diesem Moment? Wie ist Deine Stimmung? Heiter? Gelassen? Oder eher angespannt, gestresst, nervös? Auch das ist ok, so wie es jetzt ist.
Akzeptanz
Versuche einmal nicht wegzudrücken, was Dir gerade unangenehm erscheint. Schau es an und lass es da sein. Statt Dich selbst zu kritisieren und Dich anders zu wünschen, lässt Du Dich sein, wie Du jetzt bist. Auch mit dem Ärger darüber, dass Du es noch nicht schaffst, nicht an Dir herum zu nörgeln oder Dich anders haben zu wollen.
Nicht in den Zug der Gedanken einsteigen
Durch den anderen Umgang mit Dir selbst, lernst Du durch Meditation mit allem, was Dir begegnet, anders umzugehen.
Du spürst plötzlich sehr bewusst, was Dir vom Alltag noch alles durch den Kopf geht, was Dich nicht los lässt. In Wahrheit bist Du es selbst, der noch nicht loslassen kann, der immer wieder in den Zug der Gedanken einsteigt, der Dich in dunkle Gegenden Deines Gemüts mitnimmt.
Darum fängst Du ganz klein an auf so etwas Banales zu Achten wie Deinen Atem. Spüre, wie beim Einatmen Deine Bauchdecke sich sanft hebt und wie sie beim Einatmen sich wieder senkt. Bleib einfach eine Zeit lang bei Deinem Atem, bei den körperlichen Empfindungen Deines Ein- und Ausatmens von Anfang bis Ende.
Der ganze Kerl
Spüre nun Deinen Atem und gleichzeitig alles, was in Deinem Körper gerade passiert. Ein Druck, ein Ziehen, ein Stechen, Wärme, Kälte, Freuchtigkeit, Trockenheit. In Deinen Füße und Beine, Deine Vorder- und Rückseite, Deinen Kopf.
Und beobachte auch wieder Deine Gedanken und Gefühle. Lass die Gedanken und Gefühle kommen und gehen und bleib ihr Beobachter. Bleib bei Dir selbst. Das Achten auf die Bewegungen Deines Atems kann Dir dabei helfen.
Nun hast Du meditiert
Huch, nun hast Du meditiert. Siehst Du, es ist gar nichts Mystisches, gar nichts Schlimmes. Obwohl es eigentlich nichts veränderst, weil Du nichts tust außer zu beobachten, zu spüren, zu erforschen und zu bejahen, verändert sich doch etwas Entscheidendes: Das sensible Wahrnehmen verändert die Wahrnehmung selbst. So wie aufmerksames, bewusstes Essen sich kolossal vom unachtsamen Nebenbeiessen unterscheidet. Mit Achtsamkeit erlangst Du ein anderes, ein erfahrungsbasiertes Wissen über die Dinge, die Du im Moment erlebst und darüber, wie Du sie erlebst.
Wenn Du möchtest, nimm etwas von der erlebten Achtsamkeit und dem Bei-Dir-selbst-sein mit in Deinen weiteren Tag. Und vielleicht magst Du ja auch einmal mit mir darüber sprechen, wie diese Übung für Dich war und was Dir gefallen oder Dich gestört hat oder was Du noch lernen könntest.
Von Alexander Nagel / Dezember 2016
* Diese Meditation ist inspiriert von einem Gespräch über den Sinn von Meditation und vom 3-Schritte-Atemraum, wie er bei MBCT praktiziert wird. Der Name der Person, an die sich diese Zeilen richten, wurde geändert.
„Meditiere nicht, um Dich zu reparieren, zu heilen, zu verbessern, zu erlösen;
tue es lieber aus einem Akt der Liebe heraus, aus tiefer, herzlicher
Freundschaft Dir selbst gegenüber.
Auf diese Art und Weise gibt es keinen Grund mehr, für die subtile Aggression der Selbstverbesserung,
für die endlosen Schuldgefühle, nicht genug zu sein.
Es bietet Gelegenheit für ein Ende der unaufhörlichen Runden des schweren Versuchens, welches so viele Leben verhärtet.
Stattdessen gibt es Meditation als einen Akt der Liebe.
Wie unendlich wonnevoll und ermutigend.“
Von Bob Sharples
Meditation: Calming the Mind